07. November 2019

Dürfen Schüler streiken?

Artikel Pablo 4/2019

Seit einigen Monaten demonstrieren viele Schüler nach dem Vorbild der schwedischen Schülerin Greta Thunberg freitags während der Schulzeit für den Klimaschutz. Die Schüler betrachten den Klimawandel als reale Bedrohung für ihre Zukunft. Daraus leiten die Schüler einen zwingenden Handlungsbedarf ab, der ihrer Ansicht nach die "Fridays for Future" legitimiert. Die Initiatorin der weltweiten Demonstrationen, die schwedische Schülerin Greta Thunberg, spricht die Meinung vieler Schüler aus, wenn sie sagt: „Warum sollen wir für unsere Zukunft lernen, wenn wir keine Zukunft mehr haben“. Aber wie sieht es überhaupt mit dem Streikrecht von Schülern aus? Zu diesem spannenden Thema haben wir uns mit Rechtsanwalt Matthias Amberg, Fachanwalt für Familien- und Erbrecht getroffen, der gerade wieder von dem Focus-Magazin zu den 100 besten Rechtsanwälten Deutschlands im Familienrecht gewählt worden ist.

 

1. Dürfen Schüler überhaupt streiken?

Hier müssten zwei Grundrechte - der aus Artikel 7 GG abgeleitete staatliche Erziehungsauftrag und die Versammlungsfreiheit aus Artikel 8 GG - gegeneinander abgewogen werden. Schüler haben unstreitig ein Recht auf Spontandemonstrationen und das auch während der Unterrichtszeit. Bei den Demonstrationen für das Klima handelt es sich nicht um Spontandemonstrationen, vielmehr sind die Demonstrationen geplant. Also gilt zunächst einmal die Schulpflicht, trotz des Grundrechts auf Versammlungsfreiheit. Mit der Teilnahme an den Demonstrationen verstoßen die Schüler daher erst einmal gegen ihre Schulpflicht.

 

2. Was versteht man unter der Schulpflicht?

Unter Schulpflicht versteht man die gesetzliche Verpflichtung für Kinder ab einem bestimmten Alter, eine Schule zu besuchen. Solange die Kinder minderjährig sind, muss dies durch die Sorgerechtsinhaber, also meist die Eltern, umgesetzt werden. Die Schulpflicht ist durch den Besuch einer (inländischen) deutschen Schule zu erfüllen, die entweder öffentliche Schule oder eine staatlich genehmigte private Ersatzschule ist. Die Schulpflicht beinhaltet also nicht die Pflicht zum Lernen, sondern die Pflicht ein Schulgebäude zum Lernen aufzusuchen.

 

3. Gibt es auch die Möglichkeit, die Kinder zuhause zu unterrichten ?

Ziel der Schulpflicht ist es  auch, Parallelgesellschaften zu vermeiden und eine Integration von Kindern in die Gesellschaft zu gewährleisten. Aus diesem Grund ist eine Heimbeschulung durch die Eltern selbst grundsätzlich in Deutschland nicht erlaubt. Neben Deutschland existiert diese Schulpflicht nur noch in Schweden, der Volksrepublik China und Nordkorea.

 

4. Verlieren Eltern ihr Sorgerecht, wenn Sie ihre Kinder nicht in die Schule schicken ?

Wird der Schulbesuch vehement verweigert, ist in der Tat das Jugendamt verpflichtet, den Sachverhalt zu überprüfen. Allerdings reicht es für Eingriffe in die elterliche Sorge  gerade nicht allein aus, dass jeglicher Schulbesuch strikt abgelehnt wird. Ein Eingriff ist vielmehr auch in diesen Fällen nur dann möglich, wenn eine akute Kindeswohlgefährdung i.S.d. § 1666 I BGB vorliegt, also das körperliche, geistige oder seelische Wohl des Kindes konkret gefährdet ist. Diese Kindeswohlgefährdung muss im Endeffekt durch das Gericht mit Hilfe von schulpsychologischen Gutachten usw. festgestellt werden.

 

5. Welche Sanktionen können verhängt werden, wenn Schüler freitags streiken?

Die Schulleitungen können, müssen aber nicht auf das unentschuldigte Fehlen mit Sanktionen reagieren. Die Sanktionen reichen von Nachsitzen und gehen bis zeitweiligem oder gar völligem Ausschluss vom Unterricht. Wenn Sanktionen verhängt werden, müssen die Sanktionen immer angemessen sein. Sie müssen zunächst an ein individuelles Fehlverhalten anknüpfen, dürfen also nicht als Kollektivstrafe verhängt werden und im Übrigen auch keinen Straf- oder Vergeltungscharakter haben.

 

6. Haben die Eltern etwas zu befürchten, wenn sie ihren Kindern erlauben, freitags zu demonstrieren?

Eltern müssen grundsätzlich alleine entscheiden, ob sie ihren schulpflichtigen Kindern die Teilnahme an der Demonstration erlauben und damit riskieren, dass ihre Kinder zum Beispiel einen Verweis erhalten oder nachsitzen müssen. Egal wie Eltern sich entscheiden, Zweifel an ihrer Erziehungsgeeignetheit bestehen so oder so sicherlich nicht; und alleine darauf würde es in  einem Sorgerechtsverfahren ankommen.

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